Müssen wir erst heilig werden, um beten zu können?

Was muss ich tun, um beten zu können? Muss ich erst jede Spur von Sünde aus meinem Leben verbannen? Muss ich erst heilig werden, damit ich eine Beterin, ein Beter sein kann?

An vielen Stellen lädt uns Gottes Wort ein, so wie wir sind, zu ihm zu kommen. Das Gebot der „unbehauenen Steine“ z. B. (2. Mose 20,25) kann man auch so deuten, dass wir uns nicht erst zurechtmachen müssen, um uns an Gott zu wenden, sondern ihn „naturbelassen“ anbeten sollen. Manchmal erhört Gott auch das Gebet von Menschen, die gar nicht richtig an ihn glauben (2. Mose 8,4). Was aber ist dann mit der Sünde? Trennt sie uns nicht von Gott – und verhindert so das Gebet?

Opfer – eine von Gott geschenkte Möglichkeit

Sünde ist eine wirksame negative Macht in unserem Leben. Sie raubt uns viel von dem, wozu Gott uns ursprünglich geschaffen und berufen hat. All die Opfervorschriften im 3. Buch Mose zeigen, wie ernst Gott Verschuldungen nimmt. Der Kern dieses biblischen Buches ist das Thema Heiligkeit. „Ihr sollt heilig sein, weil ich, der Herr, euer Gott, heilig bin“ (3. Mose 19,2) – damit lässt sich das 3. Buch Mose auf den Punkt bringen. Das erklärt, warum die Vorschriften für die verschiedenen Sünden und unterschiedlichen Opfer so ausführlich sind.

Dabei sind die Opfer keine Last, die Gott den Menschen auferlegt, damit sie eine Art Bußgeld zahlen oder eine Vorleistung bringen, um wieder mit Gott ins Reine zu kommen. Vielmehr sind die Opfermöglichkeiten eine Tür, die Gott aufstößt: Seht her, hier ist der Weg, um wieder fähig zur Gemeinschaft mit mir zu werden! Gott selbst hat seinem Volk die Opfermöglichkeit als Gabe gegeben. Wir Menschen bestehen nun einmal nicht nur aus dem Verstand, und eine bloß gedankliche Einsicht verändert noch nicht unser Leben. Deshalb ist es hilfreich, Formen und Rituale zu haben, die der ganze Mensch ausführt, mit handfesten Taten und nicht nur in Gedanken.

Schuld trennt

Schuld hat auch Auswirkungen auf unser Beten. „Hätte ich in meinem Herzen böse Gedanken, dann hätte der Herr mich nicht erhört“, bekennt der Beter (Ps 66,18). Unsere Verschuldungen trennen uns wie eine Schranke von Gott, sodass er uns nicht hören will (Jesaja 59,2). „Wenn ihr bittet, so bekommt ihr es doch nicht, weil ihr aus schlechten Motiven heraus betet. Denn ihr wollt das, was ihr erhaltet, in eurer Vergnügungssucht ganz allein aufbrauchen“ (Jakobus 4,3). Auf diesem Hintergrund scheinen die Pharisäer recht zu haben, wenn sie sagen: „Wir wissen, dass Gott Sünder nicht hört“ (Johannes 9,31). Wie kann man dann überhaupt noch beten? Geht das nur, indem man heilig ist? So sagt Paulus es: „Ich will nun, dass die Männer an jedem Ort beten, indem sie heilige Hände aufheben, ohne Zorn und zweifelnde Überlegung“ (1Tim 2,8).

Als Sünder beten

Doch das ist zum Glück nicht alles, was wir über unsere Sünde und das Beten wissen müssen. Schon im Alten Testament finden wir viele Gebete, in denen sich jemand, der gesündigt hat, an Gott wendet: trotz seiner Sünde und mit seiner Sünde. So ist es in Psalm 38 und 51, ähnlich auch in Psalm 130. Wenn Jesus später von einem Sünder erzählt, der zu Gott betet, dann ist das also keine Neuerung, die erst im Neuen Testament denkbar wäre, sondern knüpft an die Bußgebete des Psalters an. Der Mann in dem Gleichnis von Jesus ist ein Zolleinnehmer, der sich seiner Schuld bewusst wird und mit nichts in der Hand vor Gott tritt, dabei Abstand hält und um Vergebung betet (Lukas 18,9-14). Dieser Beter hat Reinheit oder Heiligung nicht schon erlangt, bevor er betete. Damit stoßen wir auf einen wichtigen Grundsatz: Das Gebet ist nicht die Folge der Heiligung, sondern der Weg zur Heiligung.

All diese Beter sind Menschen, die sich ihrer Schuld bewusst sind und sie loswerden möchten. Für gleichgültige Menschen gibt es keine Verheißung zum Gebet. Wer aber von seiner Schuld betroffen ist, für den wäre es völlig falsch, Abstand zu nehmen und aufs Beten zu verzichten. Im Gegenteil: Schuld soll uns ins Gebet ziehen. Distanz ist nicht das, was Gott will. Genau dafür waren ja damals die Opfer gedacht: damit man wieder zu Gott kommt. Die Opfergabe war nicht etwas, das man als Versöhnungsgeschenk vor sich her senden musste, sondern durch diese offene Tür wollte Gott die Sünder zu sich ziehen.

Scham darf uns nicht zum Schweigen bringen

Damit ist auch die Frage der Scham angesprochen. Schuldbewusstsein erfüllt und mit Scham, und als Beschämte mögen wir nicht ins Gebet gehen. Die Scham brachte den Zolleinnehmer im Gleichnis vermutlich dazu, sich in den hinteren Winkel des Tempels zu stellen. Aber sie wirkte nicht so stark, dass er sich gar nicht mehr zu beten traute. Und damit machte er alles richtig.

Es waren bestimmt keine „heiligen Hände“, die der Zolleinnehmer zu Gott erhob. Doch heilige Hände zu Gott aufzuheben bedeutet eben nicht: sich selbst und Gott vormachen, dass man von sich aus ganz okay wäre. Gott durchschaut so ein Theater sofort. Deshalb liegt ihm daran, im Geist und in der Wahrheit angebetet zu werden; und zur Wahrheit gehört auch Wahrhaftigkeit. Daher ist beides gemeinsam richtig: Wir Beter sollen Gott als Geheiligte anrufen – und dabei dürfen wir so kommen wie wir sind, anstatt uns einen glanzvollen äußern Anstrich zu geben.

Beten im Namen von Jesus

Der kraftvollste und zugleich einfachste Weg, geheiligt zu beten, ist der Weg über Jesus. Wer im Namen von Jesus betet, beruft sich zugleich auf die Gerechtigkeit, die Jesus ihm schenkt. Am eindeutigsten sind wir heilig „in Christus Jesus (…), der uns von Gott her zur Weisheit gemacht worden ist wie auch zur Gerechtigkeit und Heiligung und zur Erlösung“ (1. Korinther 1,30). Wenn wir Jesus Christus „anziehen“, uns mit ihm bekleiden, dann sind wir eindeutig Heilige. Das können wir vergleichen mit Aaron und seinen Söhnen (1. Mose 8,1-13). Sie wurden von Mose aufwendig mit Priestergewändern eingekleidet – das war das Zeichen ihrer Würde und ihres freien Zugangs zu Gott. Als Christen haben wir es leichter, uns angemessen vor Gott als Heilige einzukleiden: „Zieht den Herrn Jesus Christus an!“ (Römer 13,14). Und unserem Gebet steht nichts mehr im Wege.

Zusammenfassung

Wie beten wir als Menschen, die heilig vor Gott treten sollen?

  • Wir müssen uns nicht vor Gott zurechtmachen und die Heiligen spielen.
  • Wir dürfen aus der tiefsten Gottesferne heraus beten – sofort und ohne Umweg.
  • Die Schuld soll unsere Richtung gegenüber Gott bestimmen: nämlich niemals von Gott weg, immer zu Gott hin.
  • Wir dürfen nicht in die Scham-Falle tappen. Schuld mag beschämen, aber sie soll es niemals so sehr tun, dass wir nicht mehr zu beten wagen.
  • Das Gebet ist nicht die Folge der Heiligung, sondern der Weg zur Heiligung.
  • Unser Beten bekommt die größte Zuversicht, wenn wir im Namen von Jesus beten. Damit stehen wir unter dem Kreuz und im Licht der Auferstehung. Schuld wird uns vergeben.
  • Und wo unsere Hände noch an einer Sünde festhalten wollen, öffnet Gottes Erbarmen diese Hände. Wir werden die Sünde loslassen und die Hände zum Gebet erheben.
  • Wir beten als Menschen, in denen Christus wohnt. Wir ziehen den Herrn Jesus Christus an. So sind wir mit Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung bekleidet.

Dr. Ulrich Wendel ist Theologe, Pastor und Redaktionsleiter des Gebetsmagazins sela. sowie der Zeitschrift Faszination Bibel.

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