Auf Kommando beten? Kann ich nicht

Eigentlich wäre es ja klasse, wenn wir immer ganz schnell beten könnten. Wenn wir Gott sogar loben – auch wenn es uns noch nicht gut geht. Eigentlich … Aber wer ist schon so ein Superchrist, dass er das immer sofort hinbekäme: beten und Gott loben?

„Lobpreis macht frei von bedrückenden Problemen.“ wenn uns das jemand sagt, dann wagen wir vielleicht nicht zu widersprechen. Der Satz ist ja so fromm und so richtig. Aber er kann auch wirken wie ein nasser Lappen, den man ins Gesicht bekommt. In der Bibel findet sich ein kleiner Bericht, der mich inspiriert und ermutigt. Er handelt von zwei Betern, die tatsächlich mitten in einer besch…euerten Lage Gott loben. Aber sie tun es offenbar nicht sofort. Sie brauchen auch ihre Zeit. Das finde ich tröstlich und ermutigend: dass man sich Zeit lassen kann. Und dass man es irgendwann doch hinbekommen kann, beten und Gott loben, wenn auch nicht sofort.

In der Bibel findet sich ein kleiner Bericht, der mich inspiriert und ermutigt. Er handelt von zwei Betern, die tatsächlich mitten in einer besch…euerten Lage Gott loben. Aber sie tun es offenbar nicht sofort. Sie brauchen auch ihre Zeit. Das finde ich tröstlich und ermutigend: dass man sich Zeit lassen kann. Und dass man es irgendwann doch hinbekommen kann, beten und Gott loben, wenn auch nicht sofort.

Im Knast, um Mitternacht

Diese beiden Beter sind Paulus und Silas, und über sie lesen wir in der Bibel (Apostelgeschichte 16):

(So) ließ er sie in die sicherste Zelle bringen und ihre Füße in den Block schließen. Gegen Mitternacht beteten Paulus und Silas und lobten Gott mit Liedern. Die übrigen Gefangenen hörten ihnen zu. Plötzlich gab es ein heftiges Erdbeben, und das Gefängnis wurde bis in die Grundmauern erschüttert. Alle Tore sprangen auf und die Ketten sämtlicher Häftlinge fielen ab.

Um Mitternacht also. Um Mitternacht haben Paulus und Silas gebetet, ja mehr noch: Loblieder gesungen. Ihr Blick ging weiter als an die kalte, vielleicht feuchte Zellenwand. Ihr Ohr horchte weiter als dorthin, wo die Mitgefangenen schnarchten, stöhnten oder fluchten. Ihr Auge und ihr Ohr gingen bis hin zu Gott, ihrem Herrn. Und dann folgte auch der Mund und rief ihn an.

Weil die beiden nicht auf die missliche Lage sahen, waren sie auch nicht verzweifelt. Weil sie mitten aus dem Elend heraus Gott in den Blick nahmen und es wagten, ihn zu loben, obwohl es äußerlich noch keinen Grund dazu gab, deshalb wurden sie frei. Noch bevor die Gittertüren aufsprangen, noch bevor man an so etwas überhaupt denken konnte, waren die beiden eigentlich schon frei. Sie hatten sich freigebetet, freigelobt zu Gott hin. Mit den Füßen noch festgeschlossen im Block, waren sie die freigelassensten Menschen des ganzen Gefängnisses – in der Mitte der Nacht.

Wenn wir Gott loben, macht uns das unabhängig von den bedrückenden Umständen. Das ist ein richtiger Satz, aber auch ein großer Satz. Ein Grundsatz, erst einmal Theorie. Paulus und Silas haben diesen Grundsatz erfahren, und ich möchte Mut machen, dass auch wir ihn einfach testen. Wir müssen es nicht vollmundig bekennen: „Lobpreis macht frei von bedrückenden Problemen.“ Wir müssen so etwas nicht blind unterschreiben. Aber ausprobieren können wir es.

Zwei Fragen interessieren mich nun noch bei Paulus und Silas. Erstens: Was machten sie vor Mitternacht? Bevor sie zu loben begannen? Und zweites: Wer hat angefangen mit dem Gesang?

Was war in den Stunden vor Mitternacht?

Vor Mitternacht müssen mindestens sechs Stunden vergangen sein, seit man sie festgeschlossen hat, vielleicht waren es aber auch zehn oder 14 Stunden. Wir sind beeindruckt, dass sie es schafften, um Mitternacht Gott zu loben. Aber vorher?

Ganz einfach: Vorher haben sie Gott nicht gelobt. Sechs oder zehn oder zwölf Stunden lang haben sie gelitten und Schmerzen ertragen, wurden gedemütigt, haben vielleicht Stoßgebete herausgequetscht, wer weiß, vielleicht auch Flüche unterdrückt, haben Gott womöglich angeklagt. Stundenlang haben sie nicht gelobt – obwohl es auch schon um 17 oder um 21 Uhr ein richtiger Satz gewesen wäre: „Lobpreis befreit von den bedrückenden Umständen.“ Erst um Mitternacht haben sie das gekonnt: für Gott Lieder singen.

Daran sehen wir: Gebet muss wachsen. Lobpreis muss heranreifen. Es hat keinen Sinn, ihn vorzeitig zu pflücken. Dann ist er noch hart, grün und ungenießbar. Trauen wir uns, Gott in der Nacht zu loben! Aber lassen wir uns auch Zeit, dass unser Gebet heranreifen kann. Wir können es gerne düngen und gießen. Wir müssen nicht jeden kleinen Halm, der sich in Sachen Gebet reckt, verächtlich niedertreten. Aber die Ernte hat ihre eigene Zeit.

Wer hat begonnen?

Und wer hat dann angefangen? Und wann hat er angefangen? Vielleicht war es ja Silas? Ich stelle mir vor, wie es gewesen wäre, wenn er schon um halb zehn zum Lobgebet durchgekommen wäre. Er knufft Paulus in die Seite und sagt: „Du, wir sollten jetzt beten. Wir könnten Gott auch loben. Er ist doch der Herr.“ Und Paulus mag gesagt haben: „Lass mich in Ruhe. Meine Füße und sämtliche anderen Knochen tun weh. Zufällig sind wir vor Stunden erst durchgeprügelt worden. Wir müssen jetzt nicht superfromm tun und Gott loben.“ Silas mag dann gedacht haben: „Schade. Mir würde das jetzt helfen.“ Vielleicht hat er einen Psalm oder einen urchristlichen Hymnus angestimmt. Gesummt oder gesungen. Vielleicht hat Paulus sich weggedreht: „Dieser charismatische Überflieger.“ Zu den wunden Füßen, blauen Flecken und abgeschürften Hautfetzen kam auch noch die Qual, sich geistlich ungenügend vorzukommen. Paulus könnte sich geärgert haben: „Jetzt denkt Silas über mich, dass ich Gott nicht genug liebe, nur weil ich seinen Hymnus nicht mitsingen mag.“

Oder Silas hat nicht gesummt, sondern nur dem Herrn in seinem Herzen gesungen und gespielt. Das ging sicher nicht besonders gut – allein und ohne Ton. Er könnte auch einfach mit Paulus zusammen ein flehendes Bittgebet gesprochen haben, und dann hätten sie wieder geschwiegen. Bis Mitternacht. In Paulus könnten diese Gebetsworte oder eine Zeile des Psalms aber nachgeklungen haben. Sie hätten ihn von innen her langsam aufgetaut. Und um Mitternacht war dann auch er bereit, zu beten und zu singen. Ohne Silas hätte er vielleicht bis vier Uhr morgens gebraucht, aber durch den gegenseitigen Anreiz reifte das Lob schneller heran.

Gebet muss heranreifen

Oder es war Paulus, der zuerst loben wollte, und Silas hätte noch Zeit gebraucht. Nun ja – es sind alles nur Vermutungen! Ich stelle sie an, um zu zeigen: Unser gemeinsames Gebet muss heranreifen, es braucht Zeit. Aber es hilft auch, dass wir irgendwann gemeinsam beten. Wir kommen dann schneller mit unseren Herzen zu Gott hin, wir tauen schneller auf, als wenn wir uns einzeln durchkämpfen würden.

Sich gegenseitig anstecken – das geht aber nur in Liebe und Achtsamkeit. Wenn jemand den anderen brutal an die Seite jubelt und in die Ecke singt, dann kriegt der wohl kaum Lust zum Beten. Und umgekehrt: Wenn jemand einen Lobsänger schräg anschaut und als geistlichen Luftikus betrachtet, dann könnte es sein, dass man dessen Frucht, die eben herangereift ist, rot und saftig, zurück in die Erde trampelt.

Paulus und Silas gehörten zu den Menschen, die nicht immer sofort beten können. Ihr Beispiel macht Mut, sich selbst Zeit zu lassen. Und auch sich gegenseitig Zeit zu lassen. Die beiden stehen aber auch dafür, dass Beten – vor allem auch Lobgebet – starkes Befreiungspotenzial hat. In welchem „Gefängnis“ man auch immer sitzt – als Beter kann man der befreiteste Mensch weit und breit sein.

Dr. Ulrich Wendel ist Theologe, Pastor und Redaktionsleiter des Gebetsmagazins sela. sowie der Zeitschrift Faszination Bibel.

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